This Post is on German politics, and as such will not be translated to English
Im Zusammenhang mit den gescheiterten Anträgen zum Selbstbestimmungsgesetz, gegen welche die SPD gestimmt hat, hat Saskia Esken, Bundesvorsitzende der SPD, auf das Zukunftsprogramm der SPD hingewiesen, in dem ein selbstbestimmteres Personenstandsrecht gefordert wird. Dies wurde vielseitig als Ablenken von der tatsächlichen Wahl kritisiert, trotzdem lohnt sich ein Vergleich der Wahlprogramme der linken Parteien mit speziellen Blick auf trans Themen, sowie ein Vergleich des SPD Zukunftsprogramms mit dem Antrag von Sven Lehmann.
Ich habe mich hier speziell auf den Teil der Wahlprogramme konzentriert, die trans Menschen explizit erwähnen, da dieser Blogpost sonst zu lang werden würden, obwohl natürlich viele andere Themen für trans Menschen von Belang sind1. Parteien dies Konservativ-Rechten Spektrums habe ich nicht betrachtet, da es für mich nicht möglich erscheint aus der Position emanzipatorische Politik zu machen2. In den Fußnoten stehen, zusätzlich zu nützlichen Informationen, die Kritikpunkte die ich habe, die ich eher als persönlich werte.
SPD
Das sogenannte “Zukunftsprogramm” der SPD enthält vergleichbar wenig konkrete Details, was genau sie Transpolitisch erreichen will, aber ein paar Informationen zu der geplanten TSG Reform3 gibt es doch. So soll das Verfahren aus dem gerichtlichen Bereich herausgenommen werden, dies wird vermutlich auf eine Erklärung beim Standesamt hinauslaufen. Auch die Begutachtungspflicht soll wegfallen, Näheres wird jedoch ausgelassen. Speziell ob eine Beratung nach Art einer Schwangerschaftskonfliktberatung4 5 für die SPD in Frage käme, oder gar wünschenswert wäre, wird nicht erwähnt. Dass sie diese für sinnvoll erachten, hatten einige Bundestagsabgeordete6 auf Anfrage geschrieben.
Auffälligerweise fehlen auch jegliche Aussagen zur Gesundheitsversorgung. Gerade auf Grund der Aussage des Queerpolitischen Sprechers der SPD, Karl-Heinz Brunner, dass die Inklusion dieser einer der Gründe sei, warum die SPD gegen den Gesetzentwurf der Grünen gestimmt habe, ist nicht klar, ob die SPD eine bessere Gesundheitsversorgung für trans Menschen erreichen möchte.
Weiterhin enthält der Text einige Aussagen zu Antidiskriminierung, wobei hier als konkrete Punkte nur die Aufnahme von “sexueller Identität”7 in den Gleichheitssatz des Grundgestzes (Art. 3 Abs. 3 GG) steht. Dies ist zwar eine willkommene Änderung, ist aber nur eine sehr abstrakte Art des Schutzes, und würde vorraussichtlich keine neuen Normen schaffen, da dass Bundesverfassungsgericht der Auffassung ist, dass der Schutz in dem jetzigen Gestzestext schon enthalten ist.
Bündnis 90/Die Grünen
Die endgültige Fassung des Programms der Grünen wird erst in ein paar Tagen amtlich, der Beschluss des Parteitags ist jedoch schon vorläufig veröffentlicht.
Die Grünen beginnen auch den trans Abschnitt ihres Programms mit einer “Aufhebung” des TSG. Sie fordern, dass eine Änderung auf Antrag ohne Zwangsgutachten möglich sein muss. Inhaltlich unterscheidet sich dies kaum von der SPD, ist aber strenger formuliert. Fragen, ob “auf Antrag” auch bedeutet, dass keine Beratungspflicht besteht, würden aufkommen, doch in Gegensatz zur SPD, die sich dafür ausgesprochen hat, haben die Grünen in dieser Legislaturperiode einen Gesetzesentwurf eingebracht, der eine Beratungspflicht verneint.
Das Programm fordert weiter, dass körperangleichende Maßnahmen in die Regelversorgung übernommen werden. Dies würde das Stellen von Anträgen beim MDK abschaffen, geht jedoch nicht so weit informed-consent Modelle zu etablieren8. Zusätzlich sollen Entschädigung gezahlt werden für alle, die zur Scheidung oder OPs genötigt wurden.
Zusätzlich hat der allgemeine Queerteil des Programms einige Transpolitisch relevante Forderungen. Einerseits wird wieder der Eintrag von “Sexueller Identität” in den Gleichheitssatz des Grundgestzes gefordert. Auch hier, willkommen, aber vermutlich mit wenig Auswirkung auf das Leben der meisten trans Menschen. Dafür fordern die Grünen queere Organisationen zu fördern, und Aufklärung für junge Menschen zu intensivieren, speziell im ländlichen Raum. Weiter wird auf sexualisierte Gewalt eingegangen, ohne dass konkrete Forderungen genannt werden, und eine statistiche Aufarbeitung von queerfeindlichen Straftaten gefordert. Da queere Menschen jedoch selten Strafanzeigen stellen, und trans Menschen besonders wenig Vertrauen in die Polizei haben, ist es fragwürdig, welchen Nutzen dies hätte9.
Die Linke
Das Wahlprogramm der Linken ist auch beschlossen, aber noch nicht veröffentlicht, deswegen muss ich hier erstmal den Entwurf ohne Änderungsanträge betrachten. Es soll jedoch in den nächsten Tagen veröffentlicht werden, und ich werde einen neuen Post mit den Änderungen veröffentlichen sobald ich Zeit dafür habe. Ich habe jedoch bereits das Antragsbuch durchgelesen, und keine nennenswerte Verschlechterungen erkennen können. Auch hat sich das Programm der Grünen nach Anträgen deutlich verbessert, also ist dies voraussichtlich eher zum Nachteil der Linken.
Von allen Programmen ist das der Linken am ausführlichsten und konkretesten, aber auch deutlich besser aufgebaut als die Programme der anderen Parteien. So wird Öfteren auf andere Abschnitte des Programms verwiesen, wo Queerpolitik sich mit anderen Forderungen überschneidet. Da ich größtenteils den Inhalt bewerten möchte, werde ich darauf jedoch nicht eingehen, da dies ungerecht gegenüber den anderen Parteien wäre. Trotzdem lohnt es sich meiner Meinung nach jedoch bei diesem Programm deswegen besonders den Originaltext einmal durchzulesen.
Auch sie fordern die Abschaffung des TSG, und erklären, dass dies durch eine einfache Erklärung beim Standesamt geschehen soll, ohne weitere Gutachten, Atteste oder Beratungen. Dies soll für alle gelten, insbesondere für Kinder, die trans oder inter* sind. Auch soll die OP- und Sterilisationspflicht aufgearbeitet und entschädigt werden, Zwangsscheidungen werden jedoch nicht erwähnt. Dafür wird jedoch die Anerkennung von trans Elternschaft erwähnt, die momentan nur mit altem Namen und Geschlechtseintrag möglich ist.
Das Programm fordert auch “freien Zugang zu allen notwendigen medizinischen Leistungen”, sowie Kostenübernahme. Dies wird nicht weiter erläutert, kann aber, denke ich, ähnlich zu der Forderung der Grünen als Aufnahme in die Regelversorgung verstanden werden. Dafür wird gefordert, diese Rechte unabhängig von Versicherten- und Aufenthaltsstatus zu gewähren10. Außerdem will die Linke sich für queere Gesundheitszentren im ländlichen Raum einsetzen, die auf trans und inter* Menschen spezialisiert sind.
Das Thema Antidiskriminierung ist bei den Linken ausführlich beschrieben. Auch sie fordern eine Änderung vom Gleichheitssatz des Grundgestzes, legen sich jedoch nicht auf einen Begriff fest, sondern fordern einfach die Aufnahme von sexueller Orientierung und Lebensweise, sowie der geschlechtlichen Identität. Auch hier werden jedoch konkrete Maßnahmen benannt, eines, dass längst überfällig und vergleichsweise einfach ist, ist die Einführung eines Verbandsklagerechts in das Antidiskriminierungsrecht. Dies würde Betroffenenverbänden wie dem LSVD, DGTI oder BVT erlauben bei Diskriminierungen im Namen aller Betroffenen zu Klagen. Dies könnte einige Formen einnehmen, im Speziellen wäre es, ähnlich der Musterfeststellungsklage möglich, dass Betroffene sich einer Klage anschließen könnten, und dadurch kein teures eigenes Gerichtsverfahren durchlaufen müssen. Gerade bei Diskriminierungen, die für Einzelne schwer nachzuweisen, aber gruppenbezogen sichtbar sind, wäre dies vorteilhaft. Außerdem wird gefordert, die Antidiskriminierungsstelle des Bundes besser zu finanzieren, um zielgruppengerechte Beratungen für die Arbeitswelt zu ermöglichen, und Selbstorganisation am Arbeitsplatz zu fördern.
Zur Bekämpfung von sozialer Ungleichheit von queeren Menschen fordert das Programm für queere junge obdachlose Menschen queersensible Wohn- und Zufluchtsorte. Dies ist natürlich löblich, warum dies nicht auf alle obdachlosen queere Menschen ausgeweitet wurde erschließt sich mir jedoch nicht11. Zusätzlich sollen Wohn- und Pflegemöglichkeiten entstehen, die Selbstbestimmtheit erhalten.
Zusätzlich fordert das Programm Unterstützung für die Aufklärung über queere Themen, sowohl in schulischen als auch gesamtgesellschaftlichen Kontexten, und queeres Leben soll gestärkt werden. Projekte und Einrichtungen sollen gefördert und geschützt werden. Außerdem soll in Zusammenarbeit mit queeren Organisationen darüber beraten werden, welche Probleme durch die Corona-Krise entstanden sind12.
Auch wird über queerfeindliche Gewalt geschrieben, hier wird Kriminalisierung erwähnt, aber im Zusammenhang mit Präventionsprogrammen und Opferhilfe, welche das Potenzial haben deutlich effektiver und hilfreicher zu sein. Auch soll speziell das Strafrecht hier im Internet konsequent durchgesetzt werden13. Zusätzlich soll das Schutzalter für Konversionstherapie auf 27 hochgesetzt werden, was eine sehr wichtige Änderung ist, da ein bedeutender Teil der Konversionstherapien im sensiblem Alter um die Volljährigkeit stattfindet, speziell auch in den Jahren danach, wo oft elterliche Abhängigkeit weiterbesteht. Hierbei soll auch das Strafrecht für Eltern verschärft werden. Zuletzt sollen Rechte von trans Menschen in Haft und bei polizeilicher Untersuchung etabliert werden.
Zusammenfassung
Während die Linke und die Grünen im Blick auf Transpolitik zwei gute, wenn auch teilweise verbesserungswürdige, Programme haben, zeichnet sich das Programm der SPD durch die gleiche Schwammigkeit aus, die auch die letzten 8 Jahre Regierung gezeigt haben. Dies ist vor allem deswegen schade, da viele Menschen gehofft haben, dass das vorrausichtliche Enden der großen Koalition hier zu Besserung führt. Dies ist jedoch nur das Wahlprogramm, es ist durchaus möglich, dass bis September sich mehr bewegt, gerade da der Bundestag seine letzte Sitzungswoche heute beendet. Auch wer das Wahlprogramm am ehesten durchsetzt ist im vorhinein schwer zu sagen, gerade da die Machtverhältnisse im Bundestag im Umsturz zu sein scheinen. Trotzdem hoffe ich, dass diese Informationen hier nützlich waren.
Links zu den Programmen
- SPD
- Bündnis 90/Die Grünen
- Die Linke, Seiten 102–105
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Außerdem fehlt mir die Expertise einige der Themen, die ich als besonders Wichtig erachte (z.B. Flucht und Migration), zu kommentieren ↩︎
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Wobei das Programm der CDU Queerpolitik nicht erwähnt, und das der AfD stark Queerfeindlich ist. Es wäre also nur das Programm der FDP relevant. ↩︎
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Die Bezeichnung “Reform” wird von vielen Menschen kritisch gesehen, da das TSG nur sehr wenige erhaltenswürdige Normen enthält. ↩︎
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Kritik an der Schwangerschaftskonfliktberatung selbst findet sich beispielsweise hier. ↩︎
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Die SPD schreibt hierzu auch etwas in ihr Programm, wo sie für “Frauen und Paare” Informationen und Gesundheitsversorgung fordert. Dass hier der Partner erwähnt wird, aber nicht schwangere trans Personen, finde ich etwas schade. Die fehlende Erwähnung ist jedoch in allen Programmen gleich, wobei der Entwurf der Linken unglücklicherweise “Frauen*” schreibt. ↩︎
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Diese Antwort kam als Formbrief von mehreren Abgeordneten, ist also vermutlich die gemeinsame Position der Fraktion. ↩︎
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Während ich keine großen Probleme mit diesem Begriff habe, verstehe ich den Zugewinn nicht ganz, einen mäßig akzeptierten und interpretationsfähigen Begriff zu benutzen. ↩︎
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Informed consent bedeutet, dass die Zwangstherapie vor Eingriffen wegfällt. ↩︎
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Im Allgemeinen ist fraglich, inwiefern Kriminalisierung ein geeignetes Mittel gegen queerfeindliche Gewalt ist. Nicht nur, dass die Polizei oft selbst queerfeindlich agiert, auch ist queerfeindliche Gewalt zumeist bereits strafbar. Dies scheint nur wenig Präventivwirkung zu zeigen. Dazu kommt, dass Kriminalisierung und mehr Befugnisse für die Polizei immer einen negativen Effekt für nicht-weiße Menschen hat. Hier sollten wir uns solidarisch zeigen, gerade auch in Hinsicht auf die Geschichte der Kriminalisierung von queeren Menschen, die in anderen Ländern fortwährt. ↩︎
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Ich bin, wie gesagt, nicht die Person die am besten dazu geeignet ist um Geflüchtetenpolitik zu bewerten, deswegen sei hier nur kurz erwähnt, dass die Linke auch hierzu einen eigenen Punkt hat, der geschützte Einzelzimmer, Vernetzungsangebote und kompetente Beratungsstellen für queere Geflüchtete fordert, sowie andere nicht-Queerspezifische Rechte, wie z.B. Gesundheitsversorgung. ↩︎
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Auch fehlen hier meiner Meinung nach Maßnahmen für queere Menschen, die in prekären, gefährlichen, oder diskriminierenden Wohnverhältnissen leben, aber nicht (direkt) in Gefahr sind obdachlos zu werden. Diese Situationen sind bei trans Menschen überproportional häufig, und gerade für trans Menschen ist es Erfahrungsgemäß oft schwer diesen zu entkommen, da die Wohnungssuche sehr diskriminierend sein kann. ↩︎
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Bis zur ersten Sitzung ist hoffentlich die Situation stark entschärft, aber es ist meiner Meinung nach durchaus möglich, dass nachhaltige Probleme entstehen. ↩︎
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Trotzdem sehe ich persönlich Kriminalisierung kritisch. Dass Programm hat hierfür anderswo auch Ansätze, und schreibt: “Staatliche Gewalt wollen wir als Mittel zur Konfliktlösung langfristig zurückdrängen und durch zivilgesellschaftliche Prävention und Kooperation ersetzen.” ↩︎